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Prof. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Foto: Rainer Jensen

Sie ist die renommierteste Verfechterin der Energiewende und Schirmfrau der 12. Hamburger Klimawoche: Prof. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Co-Vorsitzende im Sachverständigenrat für Umweltfragen SRU der Bundesregierung und Autorin des Buches „Mondays for Future“ (Murmann-Verlag). Der Klimawoche beantwortete sie die drängenden Fragen zum Stand der Energiewende und was jede*r ganz persönlich tun kann.

Warum brauchen wir eine Energiewende? 
Die Energiewende schafft soziale Gerechtigkeit. Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien vermeidet Umwelt- und Klimaschäden und vermeidet damit die Ungerechtigkeiten zwischen den heutigen und künftigen Generationen und die Ungerechtigkeiten zwischen den Reichen und den Armen, den Starken und den Schwachen.


Die Energiewende ist viel zu langsam angelaufen und wird teilweise massiv blockiert. Wer trägt daran die Schuld? 
Die deutsche Energiewende ist zum Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. Je kräftiger sie wurde, umso stärker wurde die Gegenwehr. Wir befinden uns in einem erbitterten Krieg um die Macht am Energiemarkt, nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt – mit dramatischen Folgen. Denn um mächtig zu bleiben, sabotieren die Vertreter der alten Energiewelt das Gelingen der Energiewende und kämpfen untereinander um die fossilen Ressourcen. Das ist mehr als ein Energie-Monopoly. Es ist brandgefährlich: Es drohen geopolitische Konflikte, Ölkrisen und nicht nur finanzielle Kriege um Energie. Die Kämpfe um den Machterhalt der alten Energiewelt bedrohen den Frieden. Man kann es mittlerweile im Brennglas ablesen, nahezu überall. Dabei ist die Energiewende das beste Friedensprojekt, was wir weltweit haben! 


Hilft die Corona-Krise dem Klimaschutz und der Energiewende oder tritt eher das Gegenteil ein? 
Helfen kann man nicht behaupten, aber das Konjunkturpaket ist zumindest zu 40 % grün, anders als in anderen Ländern. Das deutsche Konjunkturpaket ist zumindest weniger klimaschädlich ausgefallen als befürchtet, indem auf eine neue Abwrackprämie für Diesel und Benzinfahrzeuge verzichtet wurde. Aber man braucht mehr, um die Energiewende endlich voll durchstarten zu lassen. 


Der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD will im Rahmen der Corona-Konjunkturpakete die „Investitionen in Klimatechnologien stärken“. Haben Sie Hoffnung, dass das mehr als eine Absichtserklärung ist und welche Maßnahmen lassen Sie hoffen? 
Es ist mehr als eine Absichtserklärung, hat aber trotzdem noch nicht genügend „ökologischen Wumms“. Gerade mit Blick auf die mittel- bis langfristige sozial-ökologische Transformation ist das Konjunkturpaket unzureichend. Wünschenswert wäre vor allem eine weitere Stärkung notwendiger öffentlicher und privater Investitionen. Die notwendige Transformation hin zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit sollte hierbei noch bewusster und gezielter unterstützt werden, indem der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorangeht, finanzielle Unterstützungen für die energetische Gebäudesanierung gesteigert werden und zudem „Solarprämien“ und „Umstiegsprämien“ für eine echte Verkehrswende bereitgestellt werden. 


Was müsste Ihrer Meinung nach umgehend passieren? 
Die Investitionen sollten den Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien und Energieeinsparung fördern. Staatliche Fördermittel sollten daran gekoppelt sein, dass Unternehmen von der Nutzung fossiler Energiequellen auf klimaschonende Technologien umsteigen. Die aus einem Staatsfonds finanzierten möglichen Beteiligungen an Unternehmen sollten nach strengen Kriterien erfolgen, die sich an Systemrelevanz und Klimaschutz orientieren. Durch Covid19 ist aktuell fast die gesamte Mobilität stillgelegt. Den „Neustart“ nach der Pandemie sollten wir dazu nutzen, Verkehr dauerhaft zu vermeiden, zu verlagern und zu verbessern. Staatliche Hilfsgelder sollten an die Bedingung geknüpft sein, dass Ökostrom im Schienenverkehr und im ÖPNV und vermehrt Elektrofahrzeuge, aber auch im Schiffs-, Flug- oder Schwerlastverkehr klimaschonende Antriebe zum Einsatz kommen. Kurzstreckenflüge sollten komplett abgeschafft werden, stattdessen Zug- Schnellfahrstrecken ausgebaut werden, Investitionen in Schieneninfrastruktur mindestens verdreifacht werden. Auch die Landwirtschaft kann leicht klimaneutral gestaltet werden; dafür gibt es eine Vielzahl an sinnvollen Detailmaßnahmen, die im Zuge der Bewilligung von Fördergeldern dringend eingefordert werden müssen. 


Welche Schwerpunkte müsste ein Corona-Konjunkturprogramm haben, damit es zukunftsweisend, ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist? 
Ein Maßnahmenpaket sollte sich, wie vom DIW Berlin vorgeschlagen, an zusätzlichen Investitionsbedarfen in Richtung eines digitalen, ressourcen- und klimaschonenden Umbaus der Wirtschaft orientieren. Der Fokus könnte dabei auf einer umweltschonenden Infrastruktur, der kommunalen Daseinsvorsorge und einem effizienten Bildungssystem liegen – genauer könnte das Programm einen Investitionsfond für Unternehmen, eine Entschuldung der Kommunen und das Gründungsgeschehen in den Blick nehmen. Ein Programm mit einem Volumen von rund 192 Milliarden Euro könnte in den nächsten zehn Jahren das Wachstum jährlich um rund 0,5 Prozent erhöhen und rund 800.000 Arbeitsplätze schaffen. 


Warum ist nicht auf jedem öffentlichen Gebäude eine Solaranlage? 
Gute Frage. Sinnvoll wäre es auf jeden Fall! 


Klimaschutz wird lautstark gefordert. Nimmt man diese Forderungen in der Politik und Wirtschaft ernst genug? 
Die Wissenschaft warnt seit mehr als 30 Jahren, dass die Treibhausgasemissionen dringend gesenkt werden müssen. Leider hat die Politik aus falscher Rücksicht auf die Wirtschaft viel Zeit vertrödelt; jetzt wird es eng. Zunehmend werden die wirtschaftlichen Chancen von klugen Klimaschutzmaßnahmen erkannt. Wenn die Politik jetzt den richtigen Rahmen setzt, kann der Wandel hin zu einer dekarbonisierten Gesellschaft gelingen. Das nutzt der Wirtschaft, der Menschheit und der gesamten Biosphäre. 


Die Zeit drängt. Welche drei Maßnahmen zum Klimaschutz müssen noch dieses Jahr umgesetzt werden? 
Noch dieses Jahr muss … 
… ein schnellerer Kohleausstieg entschieden werden, also: alte, ineffiziente Kohlekraftwerke vom Netz und kein neues mehr ans Netz gehen lassen, 
… das Ausbautempo der erneuerbaren Energien massiv erhöht werden: Windabstandsregeln abschaffen, finanzielle Beteiligungsmodelle für Regionen und Kommunen bundeseinheitlich ermöglichen, 
… der Ausbaudeckel für Solarenergie sofort abgeschafft werden. 


Jede und jeder kann sich beteiligen. Aber wie? 
Vor allem dadurch, indem man aktiv und demokratisch legitimiert eigene Klima-Verträge schließt, sei es in der Hausgemeinschaft, im Verein, Unternehmen oder in der Region: Verbündete suchen, CO2-Transparenz schaffen, Klimaziel setzen und los! 


Sie sind Schirmfrau der 12. Hamburger Klimawoche. Warum geht Klimaschutz uns alle an? 
Klimaschutz geht uns alle an, wir alle sind Teil des Problems und Teil der Lösung. Die Hamburger Klimawoche bringt in ausgezeichneter Art und Weise Menschen zusammen, informiert und motiviert. Das braucht Hamburg!