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Greta Thunberg ist gerade auf dem Weg zur UN-Klimakonferenz in New York. Hochseeskipper Boris Herrmann, Botschafter der Deutschen Meeresstiftung, bringt sie mit seiner Rennyacht „Malizia II“ zum Ziel und bietet größtmögliche Aufmerksamkeit für den Klimaschutz. Dafür könnten alle dankbar sein. Sind sie aber nicht. Seit Monaten tobt ein Mob von Klimaleugner*innen, beschimpft Greta Thunberg oder schlimmer, wünscht ihr jetzt den Untergang auf hoher See. Auch wenn man sich mit den Gewaltfantasien einer frustrierten Minderheit nicht abfinden lassen sollte, ist gesellschaftlich viel erschütternder, dass auch aus dem bürgerlichen Lager von Intellektuellen und Medien ein Umgang mit diesem 16-jährigen Mädchen gepflegt und Maßstäbe angelegt werden, die in Teilen völlig unangemessen sind – und das eigentliche Thema, den rasant verlaufenden Klimawandel, in den Hintergrund rücken lassen.

 

Kein schlechtes Gewissen, wenn ein Kilo Hack unter vier Euro kostet

 

„Die Erwachsenen haben versagt“, sagte Greta Thunberg im „Spiegel“-Gespräch. „Sie sagen, der Klimawandel ist eine Bedrohung für uns alle, aber dann leben sie einfach so weiter wie bisher. Wir müssen selbst aktiv werden.“ Greta hält uns allen den Spiegel vor, besonders den letzten Generationen, die es zwar geil fanden und finden, möglichst wenig für ein  Kleidungsstück zu bezahlen, aber deren Autos immer größer, schwerer und leistungsstärker wurden, die es völlig normal fanden und noch finden, dass ein Flug für 20 Euro zu bekommen ist, eine Bahnfahrkarte aber ein Vielfaches kostet und zu viele, die kein schlechtes Gewissen haben, wenn ein Kilo Hackfleisch unter vier Euro kostet – wohl wissend, dass für das Futter, das wir in der Massentierhaltung verfüttern, der Regenwald abgeholzt wird. Der Weltklimarat IPCC hat gerade erst drastische Veränderungen bei der Landnutzung gefordert, aus der rund ein Viertel der menschlichen Treibhausgasemissionen stammen. Und das tierische Methan der Rinder ist 25-mal klimaschädlicher als CO₂.

Greta Thunberg benennt die Fakten, die dem Klimaschutz zuwiderlaufen und für einige so unbequem zu sein scheinen, dass sie sich in Angriffe gegen die Klimaaktivistin flüchten. So arbeiten sich Menschen und Medien an der jungen Schwedin ab, anstatt sich mit den Gründen des Klimawandels und dem Beitrag, den jede*r einzelne von uns dazuleistet, zu beschäftigen. Dabei betont Greta Thunberg immer wieder, dass sie nur die Wissenschaft zitiert, also das verkündet, was wir alle wissen könnten, wenn wir denn wollten. Dabei hat nicht nur der Weltklimarat IPCC gemahnt, dass die wetterbedingten Verwerfungen nach jetzigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nur noch beherrschbar blieben, wenn es gelänge, den Anstieg der globalen Temperatur auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

 

Sieben der schlimmsten Kohle-Dreckschleudern stehen in Deutschland

 

Doch zahlreiche Medien beschäftigt tagelang ein Gruppenfoto von Greta Thunberg mit Umweltaktivist*Innen im Hambacher Forst, auf dem auch eine Vermummte zu sehen ist. Aber hatte Greta überhaupt Einfluss darauf, wer sich da so um sie scharrte, als fotografiert wurde? Und selbst wenn, was ändert die Vermummte an den unwirtlichen Mondlandschaften, die der Tagebau hinterlässt und der empörenden Tatsache, dass unter den zehn schlimmsten CO₂-Dreckschleudern in ganz Europa 2018 sich sieben Kohlekraftwerke in Deutschland befinden?

Greta Thunberg will mit ihrer Atlantiküberquerung mit der „Malizia II“ aufzeigen, dass wir uns ernsthafte Gedanken über die Folgen unserer Mobilität machen und den Ausstoß von Treibhausgasen rapide senken müssen. Man könnte den Mut der jungen Aktivistin anerkennen, dass sie diese strapaziöse Tour ohne jeglichen Komfort nach New York auf sich nimmt, weil sie klimaneutral ist. Stattdessen skandalisieren deutsche Medien, dass die Überfahrt mit dem Segelboot klimaschädliche Flüge nach sich ziehen würde, weil eine andere Crew das Schiff in Amerika übernimmt, um es wieder nach Europa zurückzubringen. Da wird zur Nebensächlichkeit, dass das Team Malizia um Boris Herrmann ihren gesamten CO₂-Fußabdruck von 2018 in vollem Umfang finanziell ausgeglichen hat. Dies werden sie auch 2019 tun. Es gebe derzeit keine perfekte Methode für eine vollständige CO₂-neutrale Reise. Auch eine Kompensation sei nicht ideal, aber wir glauben, dass dies besser ist, als nichts zu tun, und wir versuchen, das Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu schärfen, so das Team. Das zählt bei den Kritiker*innen offenbar nicht. Mal ganz abgesehen, wie sie wohl ihre eigenen (Flug-) Reisen kompensieren und dadurch zertifizierte Klimaschutzprojekte finanziell unterstützen!

Die Hamburger Klimawoche, die zwischen dem 22. und 29. September 2019 auf dem Rathausmarkt stattfindet, wird übrigens über South Pole kompensiert und so zu einer klimaneutralen Veranstaltung. Und wir sind stolz darauf, dass Boris Herrmann im Rahmen der Hamburger Klimawoche gleich drei Mal über seine Erlebnisse während der Überfahrt von Plymouth nach New York berichten wird.

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Greta Thunberg (l.) mit ihrem Vater Svante und Hochseeskipper Boris Herrmann an Bord der „Malizia II“
Foto: Boris Herrmann Racing